Im Spiegel des Wolfes

 

Aus meiner Sicht brauchen wir eine umfassende Solidarität: Eine, die den Bauern ebenso im Blick hat wie den Wolf. Das bedeutet, das Maximum für eine friedliche Koexistenz zu tun. Wenn wir in Frieden leben möchten, haben wir nur diese Option. Alles andere geht nach der Methode vor, einen Bösen zu suchen, diesem alles anzulasten, ihn zu eliminieren. Das ist weder fair und bringt uns nur vordergründig wirklich weiter. Gibt es in anderen Bereichen eine knifflige Situation, wissen wir, daß mit Panikmache nichts Förderliches erreicht wird.

 

Der Wolf ist nicht böse: In der Regel fällt der den Menschen nicht an, zieht sich eher zurück, meidet den Mensch. Er ist rein Schöpfungsgeschichtlich Teil eines Ganzen, wie Schaf, Ochs, Esel…Mensch. Jedem ist ein Platz zugedacht. Genau das trifft den Kern: Egal ob Wolf oder andere Wesen. Wer nimmt sich woher ein Recht zu entscheiden ein bestimmtes Tier hätte kein Recht hier zu sein?

 

Des Menschen tierisches Gut wählt er sich als Teil einer Nahrungskette, folgt darin seiner Natur. Wie andere Tiere auch Tiere verzehren. Es gibt darin ursächlich eine Gleichheit und auch ein Recht darauf. Solch Vorfälle sind natürlich für Betroffene schmerzlich - man fühlt mit. Zugleich, seien wir ehrlich: Reißen wir Menschen nicht tagtäglich unzählige klaffende Wunden an Tieren, die wir essen? Wo liegt hier der Unterschied? Aus dem Abstand betrachtet könnte man auch als Betroffener dahin kommen zu sagen: Keiner. Wir sind genauso Wolf, und hinterlassen durch die zunehmende Unnatur in der Tierhaltung viele Wunden. Der Wolf verursacht im Verhältnis dazu einen geringen Schaden.

 

Da die Wildtiere wieder unter uns sind, gilt es wieder zu tun, was lange das Natürlichste war: Die Nutztiere schützen - z.B. durch Hütehunde oder ´Hüteburschen´. Wenn der Wolf nach getroffenen Schutzmaßnahmen dennoch ein Tier erwischt, ist es eine konkrete Möglichkeit, als Solidargemeinschaft den Bauern das Tier zu ersetzen. Wir zahlen für Vieles Steuern, es ist also gut denkbar, auch einen Etat für solch Ausfälle zu generieren. Was die Kosten für die Hüter betrifft, kommen wir an den Punkt der sich durch Alles zieht: Wertschätzung. Natürlich dürfen diese Kosten nicht auf den Schultern des Bauern lasten. Er leistet einen hohen Beitrag für unser aller Wohlergehen: Selbst jene, die seine Produkte nicht essen, kommen in den Genuss einer gepflegten Weidelandschaft, die wir ebenso ihm verdanken. Es ist an der Zeit, daß wir, was mit viel Engagement entsteht, auch gebührend bezahlen. Wir wissen, daß für Milch und Fleisch viel zu wenig bezahlt wird. Wir müssen uns gewahr sein, daß bleibende mangelnde Wertschätzung mit schweren Folgen für Alle einhergeht: Für Bauern, die Natur und uns Verbraucher!

 

Der Wolf ist ebenso Natur wie wir, wie Dürre und Fluten. Bis die Mühlen der Bürokratie einen Schadensausgleich herbeiführen können wir als Solidargemeinschaft ein Zeichen setzen für neue Wege. 

Die Wiederkehr der Wildtiere fordert in uns neue Haltungen! In Naturvölkern ist ihr Erscheinen ein Segen, ein Zeichen für Einheit. Dort wird das Tier als Gast und Besucher gesehen, wofür man ihm dankt. Auch wenn wir davon noch entfernt sind, können wir dies als Anregung sehen, unsere Haltung neu zu bedenken. Wir können den Wolf als Lehrmeister sehen, wie wir mit der Schöpfung umgehen. Wir sind als Menschen also gefragt Verantwortung zu übernehmen: Für das Ganze! Mensch und Tier kann man als Würdenträger sehen. So wie wir das Wahren unserer Würde schätzen und brauchen, ist es etwas Schönes, dem Wolf seine Würde zu lassen. Der Abschuss ist Ausdruck einer gewissen, auch verständlichen Hilflosigkeit. Vor allem erfordert er von uns weniger Zutun, als Schritte einer Annäherung an ein Miteinander.

 

Mit solch einem neuen Denken und Handeln können wir Vorbild-Gemeinden schaffen, die dem Tourismus nicht schaden. Im Gegenteil: Es kann das Miteinander von Mensch und Natur auch zu einem Konzept werden. Mit Vorträgen und Kursen in der Natur, die von kompetenten Wolf-Verständigen geleitet werden. Auch andere Verbände und Personen mit 

Naturwissen können in solch ein Konzept eingebunden werden. 

Um eine neue Zeit einzuleiten: In der das Wilde, die ursprüngliche Natur, wieder Platz hat in der kultivierten Natur. Ich freue mich dafür zu begeistern.

 

Iris Noerpel-Schneider

 

© November 2018 • © FOTO: fotolia • geoffkuchera